Parenterale Ernährung im Alltag
Liebe Leser und Leserinnen,
eigentlich entsteht dieser Artikel aus einem nicht so schönen Grund, denn mein Gesundheitszustand hatte sich 2022 leider zunehmend verschlechtert.
Doch kurz zur Geschichte …
Es ging im Frühjahr 2022 damit los, dass ich ständig Bauchschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit und Völlegefühl hatte. Da habe ich mir noch nichts dabei gedacht – denn welcher Kurzdarmpatient kennt diese Symptome nicht. Doch als ein paar Wochen später gelegentliches Erbrechen dazu kam, wurde ich skeptisch.
Es spitzte sich so zu, dass ich nichts mehr essen konnte, weil ich sofort alles erbrochen habe, egal, was ich gegessen habe. Meine Stuhlfrequenz wurde deutlich weniger und so stand der Verdacht eines Darmverschlusses im Raum. Alle Alarmglocken haben geläutet: Nach Hause, Tasche packen und ab ins Krankenhaus!
Nachdem ich ein paar Tränen vergossen habe, weil ich dies natürlich nicht wollte, war ich in der Notaufnahme. Nach kurzem Warten wurde die Infusionsnadel gelegt, Blutdruck gemessen, dann kam der Arzt. Als der Assistenzarzt nicht wusste, was los war, kam der Oberarzt. Nach circa 20 Minuten Ultraschall von meinem Bauch, bekam ich eine Nachricht, mit der ich nicht gerechnet hatte: „Ihre Darmschlingen sind extrem geweitet und Sie haben viel Luft im Bauch. Aber es ist kein Verschluss. Sie können wieder nach Hause gehen, denn mehr als Schmerzmittel oder Infusionen zu geben, können wir nicht machen.“
Natürlich habe ich mich darüber gefreut, dennoch war das Problem des Erbrechens immer noch da. Nach etlichen Versuchen, das mit Medikamenten und speziellen Bewegungen in den Griff zu bekommen, stand Röntgen mit Kontrastmittel an.
Diese Untersuchung brachte leider wenig Erfolg. Normalerweise macht man dabei nach bestimmten Abständen immer wieder Aufnahmen, um zu sehen, wie schnell das Kontrastmittel durch den Gastrointestinaltrakt läuft. Nach rund zwei Stunden Wartezeit waren wir gerade mal bei der Hälfte des Darms angelangt. Der Arzt brach die Untersuchung ab mit den Worten: „Es tut mir leid, aber ich denke, ihr Darm-Magen-Trakt arbeitet nicht mehr richtig.“
Nach langem Warten, vielen schlaflosen Nächte, endlosen Gedanken und vielen weiteren Tagen, an denen ich nichts essen konnte, kam der Tag, an dem ich die Ursache erfahren sollte …
Die Magen-Darm-Spiegelung
Blutdruckmanschette, Pulsoxymeter und EKG-Elektroden wurden angebracht. Nach ein paar Minuten bin ich dank meiner Narkose eingeschlafen. 25 Minuten später bin ich etwas benommen aufgewacht. Als der Arzt zu mir ins Zimmer kam, war ich gespannt, was er zu berichten hatte.
Zusammengefasst erklärte der Arzt mir, dass mein Magen-Darm-Trakt nach gut 32 Stunden ohne Nahrungsmittel und mit Abführmaßnahmen nicht leer war. Bei meinem Darm ist keine Peristaltik (Bewegung) mehr zu sehen. Dadurch braucht das ganze Essen unglaublich lange, um verarbeitet zu werden. Er sagte mir, dass er sowas bei Menschen in meinem Alter selten gesehen hat und dass er leider keine Maßnahmen wüsste, die man ergreifen könnte. Dennoch wurde das Thema Darmtransplantation angeschnitten.
Ich ging mit gespaltenen Gefühlen aus der Praxis. Zum einen hatte ich nun endlich Klarheit über den Zustand meines Darmes, auf der anderen Seite stellten sich mir die Fragen: „Warum? Woher? Wieso?“
Der Rückschlag
Nach Rücksprache mit meinem behandelnden Arzt, haben wir meine orale Nahrungsaufnahme drastisch reduziert und im Gegenzug meine parenterale Ernährung mit den Kalorien und dem Volumen erhöht, so dass sich mein Gewicht schnell stabilisierte. Durch die Erhöhung wurde aber meine Infusionslaufzeit wesentlich länger: Von 10 Stunden auf 15 Stunden war für mich ein extremer Rückschlag.
Diese Laufzeit mit meinen Arbeitszeiten zu vereinbaren, kam mir anfangs unmöglich vor. Anfangs war dies nur ein Versuch für zwei Wochen. In dieser Zeit durfte ich, nach Rücksprache mit meinem Arbeitgeber, täglich bis 13:00 Uhr arbeiten. Anschließend musste ich sofort nach Hause und spätestens um 15:00 Uhr musste die Infusion laufen. Es war eine unglaubliche Umstellung in meinem Alltag und normalen Leben. Ich war es nicht gewohnt, mit Infusion aus dem Haus zu gehen, weil ich die Blicke und Kommentare der anderen Menschen nicht leiden konnte.
Dennoch habe ich nach zwei Wochen gemerkt, es tut mir, meinem Körper und Gewicht unglaublich gut, so dass wir um weitere vier Wochen verlängerten. Ich musste natürlich wieder normal – bis 16:00 Uhr – arbeiten. Somit war meine einzige infusionsfreie Zeit meine Arbeitszeit. Doch durch die Umstellung der Laufzeit, habe ich lernen müssen, dass die Infusion immer mehr zum Bestandteil meines privaten Lebens wird.

Ein neues Kapitel
Somit ging Mitte 2022 ein neues Kapitel für mich los. Mit Infusion durch den Alltag. Ich habe mit Kleinigkeiten begonnen: Kurz am Samstagmorgen mit Infusionsrucksack zum Bäcker nebenan und Semmeln gekauft. Der nächste Schritt war der Lebensmitteleinkauf im Supermarkt. Weiter ging es mit dem Kinobesuch am Abend und am Mittag das Kaffeetrinken in der Stadt mit einer Freundin – und dies alles mit meiner Infusion. Die Infusionsbeutel waren im Rucksack verstaut. Den kann ich mir über die Schultern hängen und es schauen nur circa 15 cm Infusionskabel raus.
Meine Befürchtungen, dass meine Mitmenschen sich mir gegenüber komisch verhalten würden, waren komplett unbegründet. Es fiel fast keinem auf. Es sagte niemand etwas oder schaute komisch zu mir rüber.
Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, dass ich diesen Schritt endlich ging. Es brachte mir wieder mehr Freiheit und ich musste nicht nur in der Wohnung sein. Auch wenn es mich viel Überwindung kostete, war ich am Ende unglaublich froh und stolz auf mich, diesen Weg gewählt zu haben.
Eines kann ich euch sagen: „Seid so wie ihr seid und lasst die Leute reden. Steht zu euch, denn ihr könnt stolz auf jeden einzelnen Schritt in eurem Leben sein!“
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Hinweis der Redaktion: In der Rubrik Mutmacher geben wir Erfahrungen und Geschichten aus dem Leben von Patientinnen und Patienten Raum. Haben Sie selbst akute, unklare Beschwerden oder ähnliche Symptome, wie von Nathalie geschildert, kontaktieren Sie bitte umgehend Ihren behandelnden Arzt oder Ihre behandelnde Ärztin. Im Notfall rufen Sie sofort Hilfe unter der Nummer 112 (Feuerwehr/Rettungsdienst).