Parenterale und enterale Ernährungstherapie: Amirsam (11) ist aktiver denn je
Wie es ist, wenn die Ernährung schon in jungen Jahren über den Blutkreislauf (parenteral) und per Magensonde (enteral) erfolgt, erzählen Amirsam und seine Familie im Interview. Der elfjährige Schüler aus Brandenburg hat aufgrund eines Gendefekts eine Autoimmunkrankheit, für die es bisher noch keine Heilungsmethoden gibt.
Ohne diese Ernährungsformen, die auch medizinische Geräte wie etwa eine Ernährungs- und Infusionspumpe erfordern, würde er unter chronischer Mangelernährung und unkontrollierter Diarrhö (Anmerkung der Redaktion: umgangssprachlich „Durchfall“ genannt) leiden. So hingegen ist Amirsam mobil und kann sein Leben aktiv führen. Wir treffen ihn, seine Eltern und seine jüngere Schwester zum Interview am Wasserspielplatz im Volkspark Potsdam.
Amirsam und seine Familie möchten mit ihren Erfahrungen anderen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien Mut machen – auch und gerade, wenn die Diagnose für eine parenterale Ernährung erst kürzlich gestellt wurde. Dank moderner Ernährungstherapien sind neben dem Alltag auch Hobbys möglich.
Er fühlt sich heute stärker und selbstbewusster. Das macht uns sehr glücklich.
Vielen Dank, lieber Amirsam, liebe Familie, dass Sie sich heute Zeit für unser Interview nehmen. Können Sie erzählen, wie es Amirsam zu Beginn ging?
Eltern: „Ja, gerne. Als Amirsam sechs Monate alt war, litt er häufig unter Durchfall und verlor viel Gewicht. Er war sehr krank und deshalb viele Monate im Krankenhaus. Es war eine sehr schwere Zeit für uns.“
Was war die Diagnose – und wie ging es dann weiter?
Eltern: „Die Ärzte der Charité Berlin diagnostizierten eine Autoimmunerkrankung und einen genetischen Defekt im Verdauungstrakt. Bislang ist diese Krankheit leider nicht heilbar. Aber dank künstlicher Ernährung kann er heute ein fast normales Leben als inzwischen elfjähriger, fröhlicher Junge führen.“
Was kann Amirsam tagsüber so alles machen?
Schwester: „Mein Bruder macht eine Menge! Er ist in der 4. Klasse und wir gehen oft in den Park oder einkaufen. Er ist bei den Pfadfindern, feiert auf Geburtstagspartys oder besucht seine Freunde. Und natürlich spielt er auch viel mit mir. Das kann er alles machen und noch viel mehr. Auf seinem Laufrad ist er auch sehr gerne unterwegs.“
Wie sieht ein typischer Tag für ihn aus?
Eltern: „Wir wecken Amirsam in der Regel um 6:30 Uhr. Dann nehmen wir ihm die Infusions- und Ernährungsschläuche ab, an denen er die Nacht über angeschlossen ist. So stört ihn kein Rucksack beim Frühstück oder auch später in der Schule und bei weiteren Aktivitäten.
Nach der Schule kommt er gegen 16:00 Uhr nach Hause, macht seine Hausaufgaben und spielt mit seinen Autos, seiner Playstation oder fährt mit dem Laufrad. Oder wir unternehmen so wie heute einen Ausflug. Am frühen Abend, gegen 18:00 Uhr, wird er dann wieder an die künstliche Ernährung angeschlossen – mit neu befülltem Infusionsbeutel und dazugehöriger Pumpe für die Ernährung über die Blutbahn. Eine zweite Pumpe wird mit dem Ernährungsbeutel mit der Magensonde verbunden. Alles läuft bis zum nächsten Morgen.“
Wie sehr hilft die künstliche Ernährung Ihrem Sohn im Alltag?
Eltern: „Enorm! Früher konnte er nicht richtig laufen. Wenn wir rausgingen, mussten wir ihn immer im Kinderwagen mitnehmen. Dank der Ernährungstherapie hat er entsprechend an Körpergewicht zugenommen, er läuft, ist aktiv und wächst wie alle anderen Kinder. Darüber sind wir unheimlich glücklich. Denn wenn es ihm gut geht, dann geht es uns auch gut.“
Was konnte Amirsam vorher nicht tun – und heute dank Medikamenten und künstlicher Ernährung doch?
Eltern: „Er war so untergewichtig, dass er keine Treppen laufen, kein Rad fahren und auch nicht alleine auf die Toilette gehen konnte. Heute macht er das alles selbstständig. Und was sicher auch sehr wichtig ist: Er fühlt sich heute stärker und selbstbewusster. Das macht uns als Eltern sehr glücklich.
Amirsam, du hast deine künstliche Ernährung über deinen Rucksack angeschlossen. Wenn du damit draußen bist, darfst du dann auch was essen?
Amirsam: „Ja, ich darf zum Beispiel Quark, Joghurt, Frischkäse und Gurken mit Salz essen.“
Eltern: „Wir kochen darüber hinaus mit MCT-Öl. Die Berliner Charité hat uns eine Liste mit Lebensmitteln erstellt, die er essen beziehungsweise nicht essen darf. Das hat uns sehr geholfen.
Unabhängig davon, ist er mit dem Rucksack äußerst mobil. Darin befinden sich zwei Pumpen und medizinische Hilfsmittel für die parenterale Ernährung über den Katheter (Broviac-Katheter) und auch der PEG-Schlauch vor allem für die Ernährung ohne Restallergene aus Milch. Alles ist wirklich sehr gut im Rucksack verstaut, damit er sich frei bewegen kann, wie etwa für unseren Ausflug heute."
Welche weitere Unterstützung war für Sie wichtig, was können Sie anderen Patienten und Eltern raten?
Eltern: „Für uns war die Unterstützung der Charité natürlich sehr hilfreich. Und auch der qualifizierte und empathische Homecare-Service durch die Patientenbegleiterin von Fresenius Kabi – einer Fachkraft, die uns immer noch regelmäßig besucht und bei Fragen zur künstlichen Ernährung hilft – war für uns sehr wichtig.
Mittlerweile können wir sogar mit Amirsam verreisen. Fresenius Kabi hat die notwendigen Beutel der Sondennahrung und die Hilfsmittel ganz unkompliziert an eine andere Adresse geschickt. Dabei hätten wir noch vor Jahren nicht geglaubt, dass all das wirklich möglich ist. Dank der Ärzte der Charité, die uns erklärt haben, wie wir alles im Alltag machen können, haben wir und auch Amirsam selbst uns viel Wissen und Praktisches angeeignet. Amirsam kann so heute das typische Leben eines elfjährigen Jungen führen.“
Fällt dir als Schwester eine besonders schöne Geschichte zu deinem Bruder ein?
Schwester: „Ja, klar! Neulich waren wir bei meiner Freundin und haben auf dem Trampolin gespielt. Mein Bruder hatte zuerst Angst, dass er runterfallen würde. Aber er wollte unbedingt mitmachen, ist dann einfach hochgestiegen und mit uns zusammen auf dem Trampolin gesprungen. Das war echt schön.“
Amirsam, zum Abschluss: Was möchtest du mal machen, wenn du älter bist?
Amirsam: „Ich möchte später sehr gerne Autos reparieren oder Sportlehrer werden. Oder vielleicht Polizist.”
Herzlichen Dank dir, Amirsam, deiner Schwester und Ihnen als Eltern, dass Sie uns über Ihre Erfahrungen und Erlebnisse erzählt haben.
Interview Roland Kopp im September 2022, Potsdam
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